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Vergessen, verschüttet, verborgen

„Urban Exploring“ professionell: Das THW auf den Spuren des Nazi-Bonzen

Wäre das hier ein Horrorfilm, dann könnte diese Szene gut den Höhepunkt bilden. Tief im Bunker holt das Licht der Taschenlampe unerwartet einen Haufen Stacheldraht aus der Dunkelheit. In der hintersten Ecke, am Ende aller verschachtelter Gänge, neben rostigem Metallschrott und dreckigem Gerümpel. Bloß gut, dass es nicht so dunkel ist wie im Horrorfilm. Das Technische Hilfswerk (THW) hat Lampen aufgestellt. Da wirkt der ehemalige Gauleiter-Bunker gleich freundlicher.

Es ist ein nasskalter Samstag im Januar, an dem sich 15 Männer der THW-Bergungsgruppe 1 auf den Weg gemacht haben. Ihr Ziel ist der Kommandobunker im Harkortberg im Örtchen Wetter an der Ruhr. Der Bunker ist die ehemalige Befehlsstelle des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars Albert Hoffmann. Im Schutz des Harkortberges hielten Beobachter Ausschau nach alliierten Bombern. Die Anlage lag strategisch günstig – von hier ließ sich ermitteln, in welche Richtung die Bomber flogen und welche Region demnach mit Fliegeralarm rechnen musste. „So ließen sich die Ziele im Vorhinein erkennen“, erklärt Dr. Dietrich Thier, Fachbereichsleiter und Stadtarchivar von Wetter.

Mögliche Gefahrenquellen beseitigen

Der Bunkereingang liegt an der höchsten Stelle des Harkortberges, auf einer Höhe von rund 200 Metern. „Eingang nicht bombensicher“, warnt eine Aufschrift auf der nackten Betonwand an gleich zwei Stellen im Eingangsbereich. Das THW hat den Bunker geöffnet, um mögliche Gefahrenquellen zu beseitigen, um zu üben und um ihn hinterher fachmännisch zu verschweißen. Die Sache hat also einen ernsten Hintergrund – doch eine gewisse Faszination ist den 15 Männern anzusehen, die sich alle freiwillig gemeldet haben. Mit dabei ist auch Alex Patitz, der seine Fernsehkamera schultert und Bilder für das ZDF dreht. Für eine Dokumentation über Wetter sowie die Serie „Lost Places“. „Verlorene Orte der Geschichte“, lautet der Untertitel der Serie.

  • Gauleiter Bunker Harkortberg
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  • Gauleiter Bunker Harkortberg
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  • Gauleiter Bunker Harkortberg
  • Gauleiter Bunker Harkortberg
  • Gauleiter Bunker Harkortberg

    Die Aktion verströmt einen Hauch von Abenteuer, selbst, wenn der Bunker so gut wie leer ist. Nach dem Krieg konnten Anwohner die Einrichtung wie Heizung, Telefone, Elektro- und Sanitär-Installationen gut gebrauchen. In den meisten Räumen fehlen sogar die Bodenplatten aus Beton. Gut zu sehen dagegen sind Nachkriegs-Kellertüren aus Dachlatten sowie eine vergleichsweise moderne Licht-Installation – nach dem Krieg wurde der Bunker von einem nahe gelegenen Sportverein als Lagerraum benutzt. Ein einsamer Sportball ist aus der Zeit geblieben, er liegt verdreckt und verwittert zwischen rostigen Resten einer Belüftungsanlage.

    Neben dem Schrott ist der Schacht zu sehen, den die Bunker-Besatzung einst dazu nutzte, um ins Freie zu klettern und ankommende Fliegerverbände zu sichten. Der Schacht ist inzwischen mit Schutt verfüllt, ebenso wie zwei weitere Ein- und Ausgänge. Von ehemals drei Zugängen und einem Aussichts-Schacht ist nur noch der Haupteingang geblieben. Die Decke ist laut den Aufzeichnungen des Stadtarchivs 2,50 Meter stark, plus eine Schicht aus Erde und Zementmörtel, noch mal so dick. Die Bunkerwände sind 1,50 Meter breit. Im Vergleich zu ähnlichen Relikten des Zweiten Weltkrieges hat sich die reine Substanz des Gauleiter-Bunkers gut gehalten, es ist trocken, Wände und Decken machen einen stabilen Eindruck.

    Gleich hinter dem Eingang macht der Bunker einen Knick. „Um den Druck einer Bombe abzufangen“, vermutet Peter-Christian Zinn, Doktor der Physik und Vorsitzender des SPD-Stadtverbandes Wetter. Auch ihn hat die Neugier gepackt. Neugierige und Souvenirsammler sind in der Vergangenheit in den Bunker eingebrochen. Die Abenteuerlust ist verbreitet: Nicht mehr genutzte Bunker, verfallene Industrieruinen oder verborgene Teile der Stadt wie Abwasserkanäle üben eine starke Faszination aus. „Urban Explorer“, so lautet das Schlagwort für die Szene von Abenteurern, die sich auf eigene Faust auf die Suche machen nach vergessenen Orten, nach verschütteten Bunkern oder verborgenen Infrastrukturen.

    „Drahtfunkbesprechungsraum“

    Mit einem Unterschied: Das THW verlässt sich nicht auf halbinformierte Kommentare aus zugangsbeschränkten Internetforen. Es ist weder auf Gerüchte noch auf Werkzeug aus dem Baumarkt angewiesen. Das THW kommt mit einem eigenen Stromgenerator und mit einem ganzen Lkw voller Ausrüstung. Es dauert keine halbe Stunde, da ist der Bunker auf dem Harkortberg so gut wie vollständig ausgeleuchtet. Im Zentrum: Der größte Raum des Komplexes wird in der Stadtchronik als „Luftauswertungs- und Drahtfunkbesprechungsraum“ bezeichnet. Gegenüber liegen vier Telefonkabinen, von denen nicht mal mehr der Bodenbelag übrig geblieben ist. Lüftungsschächte gehören zu den wenigen Teilen der Einrichtung, die niemand brauchen konnte.

    Die Schächte und überhaupt die ganze Anlage erinnern stark an Aspekte der Popkultur. Viele aktuelle Computerspiele oder Horrorfilme bedienen sich der Ästhetik des Verfalls. Einer der Urahnen des Genres dürfte der Science-Fiction-Roman „Picknick am Wegesrand“ aus der Feder der russischen Brüder Arkadi und Boris Strugazki sein, 1979 atmosphärisch genial verfilmt von Andrei Tarkowski unter dem Titel „Stalker“. Der Roman erzählt von einem weiten Gebiet, in dem sich durch einen Besuch Außerirdischer die Naturgesetze verändern. Neugierige und Schatzsucher drängen trotz der Gefahren hinein.

    „Urban Exploring“ ist gefährlich. „Es gibt Gefahren, die man nicht sieht“, sagt Thomas Kramps, Gruppenführer des THW. Das Verhältnis zwischen THW und Abenteurern, die auf eigene Faust vergessene Orte erkunden, ist zwiespältig. „Probleme mit Neugierigen gibt es immer wieder“, sagt Kramps, „aber die meisten wissen, was sie tun.“ Der Gauleiter-Bunker birgt kaum Gefahren, verlaufen kann man sich schon mal nicht, im Gegensatz zu unterirdischen Anlagen in anderen Städten, in Dortmund etwa. Unter dem Harkortberg erreicht der Komplex vielleicht die doppelten Ausmaße eines Mehrfamilienhaus-Kellers.
    Im hintersten Raum rosten seit Jahrzehnten die Reste der Belüftungsanlage. Daneben knäult sich ein Haufen Stacheldraht. Ein letzter Gang wurde vermauert und endet als Sackgasse. Der Gedanke, diesen Bunker alleine und nur mit einer Taschenlampe in der Hand erkunden zu müssen, ist nur etwas für Hartgesottene.

    „Ausstattung im Sinne des Führers“?

    In der Kriegschronik der Stadt finden sich nur dürre Worte über den ehemaligen Befehlsstand: Geheimsache. Der Bunker wurde recht spät im Krieg gebaut, Ausschachtungsarbeiten starteten im Juli 1943. Keine zwei Jahre später wird die Anlage bereits geplündert. Der nächtliche Großangriff auf Bochum im Juni 1943 wird als Auslöser für den Bau des Bunkers angesehen. Die Stadtchronik hat für den Reichsverteidigungskommissar und Gauleiter Albert Hoffmann keine guten Worte übrig. Geprasst habe dieser, heißt es in einem abgedruckten Flugblatt der SPD, während für den Rest der Bevölkerung der Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ gegolten habe. Der ansonsten brave Stadtchronist begutachtet das Wohnhaus, das sich Hoffmann in die Nähe seines Befehlsstandes hatte bauen lassen, und notiert desillusioniert: „Der Bau soll 38.000 Reichsmark gekostet haben. Im großen Raum, wo ein Kamin steht, befindet sich ein großes Schiffsgemälde. Es soll 1200 Reichsmark gekostet haben. Ob eine solche Ausstattung im Sinne des Führers gelegen hat, muß stark bezweifelt werden.“

    „Der Bunker an sich hat den Wert eines Denkmals“, befindet Stadtarchivar Dr. Dietrich Thier, „eines belasteten Denkmals.“ Thier erinnert an die historische Dimension der Anlage unter dem Harkortberg: „Den Bunker zu untersuchen, halte ich für ein sehr positives Beschäftigen mit Geschichte, in der Absicht, sich Wissen anzueignen. Schließlich handelt es sich bei dem Bunker um eine Altlast, die einfach noch nicht bewältigt worden ist. Wir sprechen immer von den ,Nazis’. Aber diese Spezies kenne ich nicht – das waren Menschen, unsere Väter und Großväter.“

    Text: Tim Müßle
    Fotos: Maike Rellecke

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