Was hält die Schwarze Szene in NRW zusammen?
Erschienen im Stadtmagazin Coolibri im Dezember 2013
Schwarz hat viele Farben. So viele, dass es schwierig ist, auf Anhieb die Musikrichtungen und Stile der Schwarzen Szene mit Anspruch auf Vollständigkeit zusammenzubringen. Und doch gibt es einen Roten Faden; einen gemeinsamen Funken, der alle Gothics, EBM-Freaks, Mittelalter-Fans, Cybergoths und die vielen, vielen Spezialisten unter ihnen eint.
„So irgendwann um vier Uhr in der Früh war dann für drei Stunden mal Ruhe“, erinnert sich Kathrin Wagner (Name geändert) an eines der schwarzen Festivals, auf dem sie gezeltet hat. Bis zu dieser Stunde konnte sie in ihrem Zelt von links den harten Electro-Stampfbeats lauschen, während von rechts Dudelsack und Schalmei vom Mittelalter-Markt herüberdrängten. Von vier bis sieben blieb es vergleichsweise ruhig, bis dann pünktlich um kurz nach sieben die Herrschaften vom Zelt gegenüber ihren mitgebrachten Ghettoblaster aufdrehten – mit Peter Maffay. Die Szene hat einen breiten Musikgeschmack.
„Hier gibt es in zwei Monaten 300 Gelegenheiten, um raus zu gehen“ – Andreas Behnke, Nachtplan
Batcave, Industrial, Goth Rock, EBM, Electro, Ambient, Futurepop, New Wave, Alternative, Punk, Alternative Rock, Metal, Nu Metal, Postpunk und eine große Schippe von allem, was einst durch die 80er-Jahre schepperte: Wer versucht, bei allen Musikgenres in der Schwarzen Szene im Ruhrpott und darüber hinaus den Komplettüberblick zu behalten, der hat viel zu tun. Andreas Behnke, Chef des Szene-Partyplaners „Nachtplan“, kann das sprichwörtliche Lied davon singen. „Hier gibt es in zwei Monaten 300 Gelegenheiten, um raus zu gehen“, beschreibt Behnke, dessen „Nachtplan“ eine Art Party-Nachschlagewerk im A6-Format ist, anachronistisch in schwarz-weiß, und alle zwei Monate neu rauskommt.
„So viele Termine haben andere Gegenden nicht in zwei Jahren. Hier ist das Epizentrum. In Berlin zum Beispiel ist viel weniger los.“ Im Pott zählen schwarze Outfits. Lederhosen, Halsbänder, Klamotten mit Militär- und Fetisch-Akzenten. Stiefel, Nieten, T-Shirts mit Horrorfilm-Motiven. Fellstulpen, Teile von Uniformen, Krawatten, auch Anzüge. Jede Menge Make-up. Corsagen, nicht immer nur für die Damen. Und das ist eines der stärksten Merkmale der Schwarzen Szene: „Der Typ mit Schnauzbart und Lackschwestern-Kostüm wird vielleicht angeschaut“, sagt Andreas Behnke, „aber nicht angemacht.“ Die Szene ist friedlich. Tolerant. „Kein ,Ey, du hast meine Freundin angeguckt’“.
Vielen bedeutet die Schwarze Szene nämlich mehr als Musik und Klamotten. „Ich hatte von Anfang an ein Faible für alles, was ein bisschen ungewöhnlich war“, sagt zum Beispiel DJ Mike Kanetzky, der seit 15 Jahren in der Matrix in Bochum auflegt und federführend die Empire of Darkness (EoD)-Party gestaltet, die auch übers Ruhrgebiet bekannt ist für Electro-Beats, EBM, Future Pop, Rock, Wave und 80er. „Witzigerweise habe ich dann auf einer Kirmes Leute kennen gelernt, die so rumliefen“, sagt Kanetzky, „und daraus wurde dann Idealismus.“
Geplatzter Lautsprecher
Die EoD-Party wäre ein guter Einstieg für Leute, die mal reinschnuppern wollen. Das Gegenteil davon dürften Festivals wie das „Forms of Hands“ sein. Dort kommen viele Größen aus der Industrial-Szene zusammen, alle vom Dortmunder Plattenlabel „HANDS“: Formationen wie Winterkälte, Orphx, Mono No Aware oder Proyecto Mirage. Industrial klingt, vereinfacht gesagt, beim Erstkontakt als platze kontinuierlich ein Lautsprecher. Dazu kommt ein mehr oder weniger regelmäßiger Beat aus Geräuschen. Im Gegensatz zum sehr extremen Sound ist der angesagte Look von schlichtem Schwarzem und traditionellen Doc Martens geprägt. Schauplatz des „Forms“ sind stets Industriehallen, wie etwa in der Schachtanlage Königsborn in Bönen. „Im Zwischenfall bin ich sozialisiert worden“, sagt Karsten Plewnia, Chef des Veranstalters Labor Neun, der für das „Hands“-Label das Festival organisiert. Er erinnert sich noch genau an seine Anfänge in der Schwarzen Szene: „Damals war Party wichtig, aber wir haben uns auch über gesellschaftliche Probleme Gedanken gemacht.“ Plewnia ist Idealist – und froh, wenn er am Ende vom „Forms“ nicht draufzahlt.
Geld verdienen – mit Musik in Moll
Auf der anderen Seite lässt sich mit Musik in Moll auch Geld verdienen. Der Erfolg von Bands wie Eisbrecher, Rammstein oder Unheilig bis in den Mainstream-Bereich hinein beweist es. Gothic-Festivals wie das Amphi am Tanzbrunnen in Köln oder das Blackfield im Amphitheater Gelsenkirchen bekommen seit Jahren mehr und mehr Zulauf, und so manche Band entscheidet sich zugunsten der Verkaufszahlen gegen einen allzu rauen oder kryptischen Sound. Auf den Plakaten zu Festivals und Partys finden sich die immer gleichen Namen. Namhafte Modeketten reagieren schon seit Jahren auf die Schwarze Szene und liefern Vorgefertigtes, Fachhändler haben das Nachsehen.
„Wir haben uns früher Gedanken gemacht um Tod und Leben“, beschreibt Guido Kuczwalska, Mit-Inhaber des Kleidergeschäftes „Dark Ages“ in Essen, „jetzt geht es bei vielen vor allem um die Kleidung. Ich will nicht sagen, dass die Leute sich heute keine Gedanken mehr machen. Aber das ist nicht mehr so verbreitet. Früher war’s düsterer.“ Eine Entwicklung, die auch Andreas Behnke bestätigt: „Vor 25 Jahren war man noch ein Freak, wenn man tätowiert war. Freak sein ist heute Mainstream geworden. Ein Großteil der Musik ist weichgespült und tut nicht mehr weh. In welcher Disco hört man heute noch Einstürzende Neubauten?“
Schwarze Szene: Originalgesichter aus den 80er-Jahren
Und trotzdem haben langbärtige Metal-Fans, neonbunte Cybergoths mit Schweißerbrillen, Alt-Gruftis mit Originalgesichtern aus den 80er-Jahren, kantig frisierte EBM-Heads, Future-Popper mit stramm gespanntem Lack-Shirt und Gothic-Lolitas in zerrissenen Strapsen oft etwas gemeinsam. Myk Jung ist lang genug dabei, um davon eine Ahnung zu haben. Seit 1984 zählt sich der ehemalige Sänger von „The Fair Sex“ zur Schwarzen Szene, vielen ist er außerdem bekannt als Autor für die Szene-Zeitschrift „Sonic Seducer“.
„Ich glaube, dass es einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt.“ Da ist er, der Rote Faden, der Funke, der durch alle Splitter der Schwarzen Szene durchgeht: „Es ist ein Unzufriedenheitsstachel, ein Hauch von Revolte, ein Anti-Gefühl. Irgendetwas, was dem Menschen klar macht: Das Ideal aus der Bacardi-Werbung ist nicht das, was man selbst in der Welt sieht. Es muss ja schließlich einen Grund geben, warum viele ihre Party Time nicht mit Mariah Carey verbringen wollen.“