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Wie erforscht man den Eigendrehimpuls von Elektronen?

Erschienen in der Zeitschrift „mundo“ der TU Dortmund, Ausgabe 23/2015

Die politischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind momentan schwierig. In dieser Phase ist der erste deutsch-russische Sonderforschungsbereich/Transregio (SFB/TRR) „Coherent manipulation of interacting spin excitations in tailored semiconductors“ gestartet. Das Forschungsprojekt, das unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund acht Millionen Euro gefördert wird, beschäftigt sich mit dem Eigendrehimpuls von Elektronen in Halbleiter-Hybridstrukturen. Die Forschungsergebnisse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten beispielsweise dazu beitragen, Informationstechnologien effizienter zu machen. Manfred Bayer, Professor für Experimentelle Physik – Festkörperspektroskopie, ist Sprecher des deutsch-russischen SFB/TRR 160, an dem neben der
TU Dortmund das Ioffe-Institut in Sankt Petersburg sowie die Staatliche Universität Sankt Petersburg beteiligt sind.

Proben, die im Rahmen des Projekts untersucht werden, liefern die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Paderborn. Kritische Nachfragen zu dem internationalen Forschungsvorhaben ist der Dortmunder Physiker mittlerweile gewohnt. „Die offiziellen Beziehungenzwischen den beiden Ländern sind nun einmal angespannt. Daher wird man schon öfter darauf angesprochen, warum man ausgerechnet jetzt etwas mit
Russland zusammen macht.” Und: „Egal, wie Deutschland auf politischer oder wirtschaftlicher Ebene agiert”, so Bayer, „ich glaube, wir würden einen schwerwiegenden Konflikt haben, wenn man die Kontakte zu Russland in Kunst, Kultur und Wissenschaft kappen würde. In diese Richtung gehen auch die Signale, die ich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der DFG bekomme: In diesen Bereichen müssen die Beziehungen intensiv fortgeführt werden.”

Die Förderung des SFB/TRR ist im Januar 2015 gestartet, die offi zielle Eröffnung fand im September in Sankt Petersburg statt. Der entsprechende Antrag für das Forschungsvorhaben wurde sechs Jahre lang vorbereitet – mit zwei Begutachtungen im Jahr 2013 in St. Petersburg und 2014 in Dortmund. Gefördert wird das Projekt zunächst für vier Jahre, rund 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind beteiligt,
knapp 70 davon auf russischer Seite.

Spins sind für heutige Informationstechnologien essenziell

Ihr Ziel ist, durch die gezielte Kontrolle des Eigendrehimpulses von Elektronen, der als Spin bezeichnet wird, einen entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung von neuartigen Bauelementen für die Informationstechnologie zu machen. In der Informationstechnologie werden häufig Halbleitermaterialien verwendet. Die Ladungsträger in diesen Materialien drehen sich wie Kreisel um sich selbst und besitzen deshalb einen Spin. Diesen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beeinflussen, um die Bauelemente effizienter zu machen.

Sicherlich kennen einige die Darstellung des Spins aus ihrer Schulzeit, nach der ein Elektron als Kugel begriffen werden kann, die sich um sich selbst dreht. Die Achse, um die sich das Elektron dreht, wird mit einem Pfeil symbolisiert. „Nach all dem, was wir wissen, ist das falsch. Ein Elektron hat Masse und einen Spin, aber keine Ausdehnung. Insofern kann es auch keine Kugel endlicher Größe sein. Das Elektron ist ein punktförmiges Teilchen mit Ausdehnung null”, erläutert Bayer.

Zur Person

Prof. Manfred Bayer, geboren 1965, ist seit 2002 Professor für Experimentelle Physik – Festkörperspektroskopie an der TU Dortmund. Er war von 2007 bis 2012 assoziierter Editor der wichtigsten physikalischen Fachzeitschrift, der Physical Review Letters, herausgegeben von der American Physical Society. Er ist Sprecher des SFB/TRR 160 „Coherent manipulation of interacting spin excitations in tailored semiconductors“ und Standortsprecher des 2014 eingerichteten Transregio-Sonderforschungsbereichs TRR 142 „Tailored nonlinear photonics: from fundamental concepts to functional structures“, für den die Universität Paderborn Sprecherhochschule ist. Für seine Arbeiten hat er eine Reihe von Auszeichnungen erhalten wie etwa 2001 den Walter-Schottky-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Seit 2009 ist er Ehrenmitglied des Ioffe-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften und seit 2012 Fellow der American Physical Society. 2013 gehörte er zu den Gewinnern eines russischen Mega-Grants.

Spins sind essenziell in der heutigen Informationstechnologie, denn sie können nach „oben“ oder nach „unten“ orientiert sein. Viele Spins mit entsprechender Orientierung bilden zusammen eine Magnetisierung, wie bei einem Ferromagneten, also einem handelsüblichen Magneten. Die Spins sind ideal geeignet, um die beiden digitalen Zustände „0“ und „1“ physikalisch zu realisieren. Darauf basieren heutige  Speichermedien wie Festplatten.

Der SFB/TRR beschäftigt sich mit grundlegenden physikalischen Fragestellungen zu Spinsystemen. Im Zentrum steht dabei ihre kohärente Manipulation, was einfach gesprochen bedeutet, die Spins mit einem  minimalen Energieaufwand zu steuern. Dazu werden einerseits neuartige Materialien entwickelt, andererseits werden neue Methoden ausgearbeitet, mit denen sich die gewünschte Manipulation erreichen lässt.
Im Fokus des SFB/TRR stehen insbesondere die quantenmechanischen Eigenschaften des Spins, nach denen ein Spin nicht mehr nur nach oben oder nach unten weisen, sondern auch beliebige Orientierungen haben kann. So ist es möglich, dass ein Spin gleichzeitig nach oben und unten weist. Diesen Zustand verdeutlicht „Schrödingers Katze“, die auf drastische Weise das Besondere solcher Überlagerungszustände deutlich macht.

„Schrödingers Katze“ verdeutlicht Überlagerungszustände von Spins

Im Gedankenexperiment des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger, eines Begründers der Quantenmechanik, wird eine lebende Katze in eine Kiste gesperrt, die hermetisch von der Außenwelt abgetrennt ist. In der Kiste befinden sich ein radioaktives Präparat, ein Geigerzähler, ein Hammer und eine kleine Flasche mit Gift, das die Katze töten würde. Allerdings weiß der Betrachter außerhalb der Kiste nicht, ob der Mechanismus bereits ausgelöst hat oder nicht. Auslöser wäre die radioaktive Substanz, die zerfallen kann oder auch nicht. Sobald sie zerfällt, würde der Geigerzähler aktiviert werden. Dieser würde wiederum mit dem Hammer die Flasche mit dem Gift zerschlagen. Der Betrachter hat keinen Einfluss auf die Vorgänge in der Kiste. Die Katze ist also in einem Überlagerungszustand, „dead and alive“ statt klassisch „dead or alive“.

In einem solchen Zustand kann sich auch ein Spin mit seiner gleichzeitigen Orientierung nach unten und oben befinden. Ziel des SFB/TRR ist es, Spins in einem solchen Überlagerungszustand möglichst lange zu halten und die damit verbundenen Informationen zu speichern. Dazu sollen insbesondere auch Wechselwirkungen zwischen den Spins genutzt werden. Über die grundlegenden Untersuchungen hinaus könnten damit auch neuartige Bauelemente für eine Spin-basierte Elektronik erforscht werden.

Perspektivisch könnte das Forschungsprojekt auch Beiträge zu einer echt quantenmechanischen Informationsverarbeitung liefern – ein Beispiel hierfür ist der Quantencomputer, der seit einigen Jahren immer wieder in populärwissenschaftlichen Medien wegen seiner unglaublichen Rechenkapazität diskutiert wird, da er die Rechenoperationen nicht nacheinander ausführt, sondern parallel zueinander. „Hier muss man allerdings ganz klar auf die Euphoriebremse treten“, sagt Bayer. „Nach anfänglichem Optimismus ist den Leuten mittlerweile klar geworden, wie schwierig es ist, einen solchen Computer zu bauen.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Russland betrachten vor allem Spins in sogenannten Halbleitern, auf denen die konventionelle Elektronik beruht. Außerdem erforschen sie Hybridmaterialien, bei denen der Halbleiter mit einem anderen Metall wie Gold oder einem traditionellen Ferromagneten wie Kobalt kombiniert wird. Durch die räumliche Nähe zum Ferromagneten wird auch der Halbleiter ferromagnetisch. Bayer: „Ich habe einen Halbleiter und bringe da zehn Nanometer, also zehn Milliardstel Meter, ferromagnetisches Material auf.” Am Ende kommt ein Material heraus, das die Eigenschaften eines Halbleiters, wie beispielsweise leichter Transport elektrischer Ladung, mit den Eigenschaften eines Ferromagneten kombiniert, der es erlaubt, die magnetischen Eigenschaften des Halbleiters
zu steuern. „Das ist sozusagen eine neue Materialklasse”, so Bayer.

Die Erfahrung der russischen Kolleginnen und Kollegen kommt der deutschen Seite dabei sehr zugute. An beiden beteiligten russischen Institutionen arbeiten Pioniere der Spinphysik. „Darunter sind Leute, deren Veröffentlichungen man als Student ehrfurchtsvoll gelesen hat. Mit ihnen jetzt zusammenarbeiten zu dürfen, begreife ich als absolutes Privileg. Und auch unsere Studierenden und Promovierenden profitieren  extrem von deren Wissen.“ Umgekehrt ist Bayer sicher, dass auch die russische Seite Nutzen aus der standortübergreifenden Kooperation zieht.

„Die russische Wissenschaft hat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen extremen Aderlass, vor allem an jungen Leuten, zu verzeichnen gehabt, wenngleich viele ältere Kollegen vielfach geblieben sind und unter schwierigen Bedingungen weitergearbeitet haben. In den vergangenen Jahren hat sich aber glücklicherweise eine neue Generation an jungen, extrem motivierten und talentierten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern herausgebildet.”

Intensivere Kooperation durch russische Wissenschaftler in Dortmund

Die enge Verknüpfung zu St. Petersburg wird in Dortmund auch durch Prof. Dmitri Yakovlev und Privatdozent Dr. Ilya Akimov, die beide vom Ioffe-Institut stammen, sichergestellt. Nachdem Bayer und Yakovlev 2002 in Dortmund gestartet sind, kam Akimov 2007 zum Team. So wurde die internationale Zusammenarbeit weiter intensiviert. Die Kooperation mit der Staatlichen Universität Sankt Petersburg, die zu den Partneruniversitäten der TU Dortmund zählt, folgte. „Über zehn Jahre gab es immer wieder gegenseitige Kurzbesuche”, erinnert sich Bayer, „und irgendwann waren wir an dem Punkt, dass wir dem Ganzen mal einen solideren und planbareren Rahmen geben wollten. Das wurde durch gemeinsame Veröffentlichungen unterfüttert. Dabei muss man immer auch ein bisschen Glück haben, aber uns gelangen Publikationen
in Journalen wie Nature und Science.” Die erste Idee zum SFB/TRR kam im Jahr 2008 auf. Bis zum finalen Konzept und zur Erfüllung aller formalen Rahmenbedingungen vergingen rund sechs Jahre, 2013 stellte Bayer gemeinsam mit seinem Team den Vorantrag. Dabei hat nicht alles von Anfang an rosig ausgesehen. „In der Tat, bevor wir zur Vorbegutachtung in Sankt Petersburg waren, waren einige Gutachter kritisch, ob
in Russland die nötige Ausstattung vorhanden sei, um kompetitive Forschung betreiben zu können. Wir konnten sie vom Gegenteil überzeugen.”

Grund dafür ist das sogenannte Mega-Grant-Programm, das die russische Regierung gestartet hat. Es handelt sich um ein Förderprogramm für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Russland und dem Ausland. Die Fördergelder müssen in Russland investiert werden – in die Einrichtung von Laboren oder für Forschungsaufenthalte. Prof. Manfred Bayer gehört zu den Gewinnern eines Mega-Grants (2014), in Kooperation mit dem Ioffe-Institut in Sankt Petersburg. Bayers Mega-Grant hat ein Volumen von rund 100 Millionen Rubel (zurzeit ca. 1,3 Millionen Euro). „Wir haben damit sehr viel Equipment gekauft und die Labore mal renovieren lassen, so dass sie nun höchsten Ansprüchen genügen.” In die Finanzierung des Projekts fließen zusätzlich zwei Mega- Grants anderer Forscher ein.

Eines der ersten Ergebnisse des SFB/TRR: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass in einer Hybridstruktur der Abstand zwischen Ferromagnet und Halbleiter nicht wie bisher gedacht bei unter einem Nanometer liegen muss, um die magnetischen Eigenschaften des Halbleiters manipulieren zu können. „Wir können vielmehr über einen neuen Mechanismus den Abstand mindestens 40-mal so groß wählen, und trotzdem sind die beiden Systeme noch stark aneinander gekoppelt.” Dieses Resultat ist im Oktober 2015 in Nature Physics veröffentlicht worden.

Bemerkenswerte Gastfreundschaft

Über allem schwebt für Bayer die internationale Kooperation mit einem tiefen, über Jahre gewachsenen Vertrauen unter den Beteiligten. Vor allem die russische Gastfreundschaft findet Bayer bemerkenswert. Er erinnert sich an seinen ersten Besuch Anfang der 1990er-Jahre in Russland. Durch Kontakte zu einem russischen Institut kam er in die Stadt Tschernogolowka in der Nähe von Moskau. „Es war der Höhepunkt der
Phase, in der es den Leuten in Russland wirtschaftlich richtig schlecht ging. Ich kann mich noch an die Schlangen vor den Supermärkten erinnern, und als man endlich vorne war, gab es außer ein paar Scheiben Brot nichts mehr. Nichtsdestotrotz haben die während der vier Wochen, die ich da war, eine Party für mich geschmissen. Dabei haben sie alles gegeben, vermutlich mehr, als sie sich eigentlich hätten leisten können oder sollen. Typisch russische Gastfreundschaft: Nach einer kurzen Aufwärmphase schlägt einem totale Offenheit und Herzlichkeit entgegen.“

Photo by Alexandre Debiève on Unsplash

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