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USB Stick in der Wand

Warum steckt da ein USB-Stick in der Wand?

Erschienen in der Westfälischen Rundschau am 21. März 2011

Siegen. Es wäre gut möglich, 20 Jahre in Siegen zu wohnen und jeden Tag daran vorbei zu gehen, ohne etwas zu merken. So klein und unscheinbar ist der USB-Stick, den jemand in die alte Mauer am Krönchen einzementiert hat. Das Stückchen Elektronik steckt schon seit Wochen in der Wand am Marktplatz neben der Nikolaikirche, auf der statt eines Wetterhahns ein Krönchen thront. Der USB-Stick trotzt den Elementen, nur gut zwei Zentimeter des Teils gucken aus der Mauer heraus.

Im Internet hat sich schon ein Begriff für solcherart eingemauerte Daten gebildet. „Dead Drops“ lautet der Name des jüngsten Phänomens der Computer-Subkultur, und die Idee geht um die Welt. New York, Peking, Berlin, Köln und – Siegen. Wer diesen „toten Briefkasten“ in die Mauer in Siegen eingesetzt hat, bleibt unbekannt. Auf dem Datenträger selbst findet sich kein Hinweis auf den Urheber. Das ist juristisch gesehen vielleicht auch besser so, denn es ist jede Menge Musik drauf – frei zum Kopieren. Wer immer am Marktplatz in Siegen ein paar Minuten Zeit hat und ein Laptop mitbringt, kann sich die Musik auf den Rechner laden. Zum Beispiel die Rocker von Metallica, aber auch Stücke von den Babyshambles. Außerdem gibt’s Bilder von Darth Vader, dem Bösewicht aus Star Wars, eine Ansicht einer enorm  heruntergekommenen Ladenfront mit dem Namen „Paradies“ sowie 116 historische Fotos von Siegen.

„Ein bewusster Schritt zurück und die Entdeckung der Langsamkeit“

dead drop siegen
Was einen Hinweis auf den Urheber der eingemauerten Daten gibt. Die Idee, einen USB-Stick an einem öffentlichen Platz einzuzementieren, hat etwas von einem Studentenscherz – doch die historischen Fotos von Siegen passen nicht recht dazu. Solche Dead Drops finden sich mittlerweile an vielen Orten in der westlichen Welt, los ging’s in New York. Ein Berliner Künstler, der sich Aram Bartholl nennt, hat das Gerät im Oktober 2010 im „Big Apple“ eingemauert. „In einer Zeit mit wachsender Bedeutung von Cloudcomputing und ,tollen’ neuen Geräten ohne Zugriff auf lokale Dateien müssen wir die Freiheit und die Verteilung von
Daten neu überdenken“, heißt es etwas sperrig im Dead-Drop-Manifest. „Liebevoll altmodisch“ nennt der Dortmunder Techniksoziologe Prof. Johannes Weyer das Konzept. „Dead Drops kann man wahrnehmen
als Gegenentwurf zur totalen Digitalisierung, in der wir uns verlieren.“ Weyer sieht die neumodischen „toten Briefkästen“ als Aktionskunst, die für ihn einen „bewussten Schritt zurück und die Entdeckung der Langsamkeit“ bedeuten.

Denn wer wissen will, was auf dem Stick drauf ist, muss hingehen. Hinaus in die reale Welt. Raus aus dem immerwährendem Strom der Nachrichten, Feeds, Tweets, E-Mails, Facebook-Updates. Stattdessen: Zeit mitbringen. Suchen. Sich dem Wetter aussetzen. Neugierige Blicke aushalten. „Es gibt ständig neue Produkte“, kritisiert Weyer, „wie etwa ein Tablet-PC. Der digitale Tsunami überrollt uns, und das Nachdenken  darüber ist uns abhanden gekommen.“ Es sei schon immer die Rolle der Kunst gewesen, die Gesellschaft zum Nachdenken anzuregen. Weyer verweist auf Andy Warhol mit seiner verfremdeten Suppendose, der
ebenfalls Kritik geübt habe. Im Gegensatz zu Warhols Suppendosen, die im vornehm klimatisierten Museum of Modern Art in New York logieren, hat der USB-Stick in Siegen es allerdings schwerer. Kaum beachtet muss er Wind und Wetter trotzen, bis die Technik einmal aufgibt. Auch das unterscheidet die Dead Drops von der nebulösen Datenflut im Internet, das ja bekanntlich nichts vergisst: Sie sind vergänglich. Und damit allzu menschlich.

www.deaddrops.com

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